Tag: 9. Dezember 2009

Advent – Zeit der realen sozialen Netze

Heute machte ich einen kurzen Verdauungsspaziergang über die Felder hinter unserer Firma. Es ist ein schöner Tag, die Sonne scheint mir ins Gesicht, keine Wolke stört das tiefe Blau.
Mein Weg führt mich auch über eine Brücke der SBB. Wie der Zufall es will, nähert sich auf der schnurgeraden SBB-Strecke von Thun her ein Güterzug. Ich stehe am Geländer und schaue auf die Geleise hinunter. Wie ein Selbstmörder, schiesst es mir durch den Kopf.
Was mag wohl genau in diesem Moment einem durch die Maschen des sozialen Netzes gefallenen Menschen am Scheideweg zwischen Leben und Tod durch den Kopf gehen? Sieht er nur noch diesen einen, vermeintlichen Ausweg? Drücken ihn alle Probleme gegen das Geländer? Oder ist da nur noch das fatale Erwarten der (erhofften) Erlösung?

Während ich so in Moll vor mich hin sinniere, nähert sich der Zug unaufhaltsam, und mit einem Mal erkenne ich, wie sich das Bild für den Lokührer präsentieren könnte.
Er sieht mich auf der Brücke stehen, nahe am Geländer, denkt sich seinen Teil und hofft, ich möge nur ein zufällig vorbeikommender Fussgänger und nicht eine zerrüttete, aus allen Wolken gefallene Seele sein.
Ich entschärfe die Situation und hebe schnell meine Hand zum Gruss. Der Lokführer winkt zurück und lächelt.

(Quelle: www.derbund.ch)

In Bern werden diese Tage Netze an der Kirchenfeldbrücke angebracht. Nicht nur um Suizide zu verhindern, sondern auch zum Schutz gegen die Traumatisierung von Schulkindern und anderen unfreiwilligen Augenzeugen.

Bernhard Stähli, Koordinator Care-Team Kanton Bern, appellierte auch an die Zivilcourage der Bevölkerung:

Es gelte, Personen anzusprechen, die den Anschein machen, suizidal gefährdet zu sein. «In dieser Zeit müssen wir einander gegenseitig tragen, Wärme geben – mehr als Metallnetze braucht es dieses Netz», sagte Stähli.

Es wurde im Zuge der Aufarbeitung zur Minarettabstimmung ja viel über die eigentlichen Ängste der Bevölkerung diskutiert (hier, hier und hier), doch es gibt auch die näher liegenden Ängste, die leider immer noch einem gesellschaftlichen Tabu unterworfen sind: Existenzangst, Beziehungsangst, drohende Isolation, bis hin zur Vereinsamung und Verzweiflung.

Spannen wir also unser persönliches soziales Netz, halten Augen und Ohren offen und tragen Sorge zu unseren Mitmenschen.

Und falls wir damit überfordert sind, sollten wir nicht zögern, professionelle Hilfe anzufordern.

Posted by bobsmile in nachdenksachen, sonstige sachen, 0 comments