Monat: Mai 2013

Gelebte Nächstenliebe

Die Szene war so unwirklich und unerwartet, dass sie mir nicht mehr aus dem Sinn ging.

Früh morgens, mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeit, ich rollte langsam auf der Hauptstrasse dahin und hatte gerade den Dorfeingang passiert, da sah ich einen kräftigen Mann in einem blauen Arbeiteranzug, vielleicht ein Schreiner oder ein Mechaniker, könnte auch ein Sanitärspengler gewesen sein, jedenfalls stand dieser grosse und breitgebaute Handwerker auf dem Trottoir. Er presste die zur Faust geballte Hand fest an seinen Mund. Daneben stand eine kleine, alte Frau, die grauen Haare zu einem strengen Bürzi hochgesteckt, an ihrer Seite ein rotes Einkaufswägelchen mit Karomuster. Diese kleine Frau sah mit leicht schief gelegtem Kopf und einem solch mitleidserfüllten Blick hoch zu diesem Fels von Mann. Und da sah ich, wie es in dessen Gesicht bebte, wie es den leicht gekrümmten Rücken schüttelte und ein unbekannter Schmerz den armen Kerl fast zu zerreissen drohte.

Ich weiss natürlich bis heute nicht, was den beklagenswerten Menschen da so hart getroffen hatte, welcher Schicksalsschlag ihn da wohl in seinen Grundfesten so zu erschüttern vermochte, auf jeden Fall legte die kleine alte Frau nun ihre rechte Hand an seine Wange und eine tröstliche Aura umfing die beiden, dass es mir ganz warm ums Herz wurde. Gleichzeitig war ich aber auch peinlich berührt, denn diese Szene war so voll intimer Emphatie, dass ein zufällig vorbeiziehender Passant wie ich dem Ganzen gar keine Beachtung schenken dürfte.

Aber es war halt ein solch magischer Moment, den ich in Worten gar nicht so wiedergeben kann, wie ich es in diesem kurzen Augenblick empfunden hatte, und er bildete einen krassen Gegensatz zur hektisch bunten Multimediawelt da draussen.

Da ist ein Mensch stehen geblieben, hat einem anderen Menschen zugehört und deutlich Trost gespendet.
Gelebte Nächstenliebe im Alltag, schön, so soll es sein.

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